Bensman | Wageringel

Grafik: Rainer Ehrt

Der in Schwerin lebende Graphiker Thomas Wageringel und der Berliner Buch- und Objektkünstler Michael Bensman nähern sich jeder auf seine spezifische Weise der künstlerischen Technik der Collage.

 

Wageringels »Decollagen«genannte Unikate sind dies sogar im doppelten Sinne. Was als alltäglich-banale Werbung an Plakatwänden klebt und sogleich von der nächsten kurzlebigen Botschaft Schicht auf Schicht überlagert wird, wird durch die Arbeit des Künstlers zu abstrakt- ironischen Bildwerken ganz eigener Qualität.

 

Michael Bensmans dadaistisch-groteske Materialköpfe sind unter anderem  inspiriert von den künstlerischen Experimenten, die auf den 1. Weltkrieg, der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« reagierten. Es sind originelle Findungen, die auch vieldeutige Bezüge zu den gegenwärtigen Krisen aufweisen.


Ausstellung  vom 16. April bis 21. Mai

 

Eröffnung am 16. April um 16 Uhr

Musik: Doktor Bajan

 

Geöffnet Samstags und Sonntags von 14 bis 18 Uhr

und nach Vereinbarung (Telefonisch anmelden unter 0173 – 8112451)

 

Der Eintritt ist frei. Hinweise zum Besuch der Ausstellung im Landarbeiterhaus hier. Wenn Sie direkt informiert werden möchten, abonnieren Sie unseren Newsletter


 

Bilder: Wolfgang Meier-Kühn

Rede zur Eröffnung

gadji beri bimba glandridi laula lonni cadori

gadjama gramma berida bimbala glandri galassassa laulitalomini

gadji beri bin blassa glassala laula lonni cadorsu sassala bim

gadjama tuffm i zimzalla binban gligla wowolimai bin beri ban

o katalominai rhinozerossola hopsamen laulitalomini hoooo

gadjama rhinozerossola hopsamen

bluku terullala blaulala loooo

zimzim urullaåla zimzim urullala zimzim zanzibar zimzalla zam

elifantolim brussala bulomen brussala bulomen tromtata

velo da bang band affalo purzamai affalo purzamai lengado tor

gadjama bimbalo glandridi glassala zingtata pimpalo ögrögöööö

viola laxato viola zimbrabim viola uli paluji malooo

tuffm im zimbrabim negramai bumbalo negramai bumbalo tuffm i zim

gadjama bimbala oo beri gadjama gaga di gadjama affalo pinx

gaga di bumbalo bumbalo gadjamen

gaga di bling blong

gaga blung

Gadji beri bimba

 

 

So weit der Dadaist Hugo Ball mitten im ersten Weltkrieg, mitten in der Urkatastrophe des maschinellen Tötens, die begleitet wurde von einer bis dahin unvorstellbaren kommerziellen und chauvinistischen Verwahrlosung der Sprache – eine Sprache, die „verwüstet und unmöglich geworden“ ist, wie Ball sagt, und daher nur ein Rückzug auf die „Alchemie der Wörter“ übrig bleibt. Dada bedeutet Rückzug und Angriff in einem: ich befremde und provoziere dich, braves bürgerliches Ohr, das du vollgestopft bist mit satten Gewissheiten und unumstößlichen alternativlosen Urteilen. Ich fordere dich heraus, indem ich, was „normal“ und sinnvoll“ und „ordentlich“ scheint, bis aufs Skelett entkleide. Ich lautmale, ich male Laute, ich zerfetze lustvoll die bunt beklebte Fassade der Geschäftigkeit, der Tüchtigkeit, der Effizienz. Ich amputiere die folgsam im Takt marschierenden Extremitäten bis auf das blanke Kopfwesen. ich häute die heiligen Kühe namens Profit, Rentabilität, Verkäuflichkeit. Ich streue feinen und groben Sand in die institutionellen Phrasenmaschinen, in die unaufhörlich süße Lügen speienden Warenverkaufsmaschinen, in die schamlosen Skandalverkaufsmaschinen, in die noch schamloseren Körperverkaufmaschinen, in die manipulativen Wahlversprechungsmaschinen, in die  Geschäfte der Surrogathehler, der Glückswechsler und Rauschhändler.

 

 

Was bleibt uns also übrig angesichts der Verwüstungen der Gegenwart, angesichts der unaufhörlichen Kriege, Inflationen, der brutalen Manipulationen, der Plünderung des Planeten, der alternativen Wahrheiten, der ins endlose gesteigerten Abfolge von Krisenhysterien und immer mehr beschleunigten Abfolge von digitalen Zumutungen, mailen, wischen, scrollen, chatten, twittern?

 

 

Michael Bensman, geboren 1957 in Moskau , Architekt, Buchkünstler und Restaurator tritt hier einfach einen Schritt zurück, gewinnt so die Perspektive des sensiblen Beobachters, des geistreichen  Sammlers, des klugen Arrangeurs, des pointierten Kompositeurs disparater Dinge, Hinterlassenschaften, Relikte. Denn sie sind ja auch schön, diese Fundstücke unserer technischen Zivilisation, sie sind bei Bensman befreit vom Zwang ihrer ursprünglichen Funktion, sie funkeln und strahlen und glänzen in ihrer Materialität und ihrer bisweilen kuriosen, bisweilen archaischen, bisweilen nostalgischen Form.

 

Bensman schafft verkopfte Typen oder typisierte Köpfe wie ein spielerischer Weltenschöpfer. Ein Demiurg unserer ambivalenten Kopfwelten, die besetzt sind mit den Attributen unserer Alpträume und Wunschträume, Begehrlichkeiten und Abgründen. Es ist ein weises Spiel was er da treibt und spielerische Weisheit: Alle die Eigenschaften dieser Dinge, technischen Bauteile, medizinischen Instrumente, mechanischen, textilen, metallischen Fragmente, sind ja nur scheinbar eindeutig, in Wahrheit aber voller Doppeldeutigkeiten und Interpretationsmöglichkeiten. Der Zufall kam Bensman zu Hilfe, der Antiquitätenmarkt, die Dachkammer oder die Haushaltsauflösung, dazu aber auch ein melancholischer, mitunter abgründiger Humor, ein klug gestaltender und das Material schätzender Sinn, eine solide arrangierende Hand: So sind seine Charakterköpfe trotz oder wegen ihrer nostalgisch – antiquitären Aura eigentlich zeitlos und von schöner Eigentümlichkeit, von einer eigentümlichen Schönheit.

 

 

Thomas Wageringel, 1957 in Leipzig geboren, absolvierte die Kunsthochschule Halle Burg Giebichenstein und verließ sie als Diplom- Gebrauchsgrafiker. Er bewegt sich seither sowohl auf dem Gebiet der angewandten als auch der freien Grafik. Prinzipiell geht es ja immer um das spannungsvolle Ordnen von grafischen Elementen in einer Fläche, Schrift und Bild und Zeichen und deren vielfältige kombinations- und Transformationsmöglichkeiten. Die hohe Schule auf diesem Gebiet – und Wageringel beherrscht sie selbstverständlich – ist sicher das Plakat: hier müssen, wenn es gut sein und seinen Namen eigentlich erst verdienen soll, alle Elemente zu einer Ordnung zusammenwirken, die originell, spannungsvoll und kommunikativ überzeugend zugleich ist.

 

Dem gegenüber steht die begrenzte Lebensdauer dieser Kunst-Form visueller Kommunikation: Plakate kommen und gehen, die seltenen guten sähe man gern länger, überdauern darum mitunter auch an Wohnzimmerwänden, werden immerhin in Museen gesammelt. Die Masse der beliebigen, schnell schlecht gemachten, hingepfuschten, das Auge beleidigenden aber verschwindet gnädig Schicht um Schicht unter den jeweils folgenden. Bereits seit 1995 erntet Wageringel diese an den Litfaßsäulen und Werbewänden mitunter zu großer Mächtigkeit anwachsenden Sedimente aus Zellulose, Druckfarbe und Leim, wo immer er ihrer habhaft werden kann, schlachtet sie aus, spaltet sie, kratzt, reißt, fetzt, leimt sie auch mitunter wieder. Und siehe: Aus dem babylonischen Gebrabbel einander überschreiender Botschaften, aus der sich darin spiegelnden eisigen Seelenlosigkeit der Warengesellschaft, erwachsen durch Wageringels kraftvoll in den Zufall eingreifenden Gestaltungswillen seine faszinierenden Decollagen genannten Bildfindungen.

 

Es ist eine künstlerische Technik und ein upcycling im besten, feinsten Sinne: aus gerissenen Strukturen entsteht ein aufregendes künstlerisches Formgewebe, aus banalem gedrucktem Werbegeschrei eine künstlerische Transformation, welche das Chaos in eine spannungsvolle Ordnung bringt. Hinzu kommt die einmalige Haptik dieser dem Zufall im wahrsten Sinne des Wortes entrissenen Oberflächen, und die unter Wageringels Hand und Blick plötzlich zutage tretenden expressiven Farb- und Formakkorde. Sie sind gleichzeitig ein sehr zeitgemäßer Spiegel unserer Zeit wie eine Rettung aus ihr.

 

Die Ausstellung ist eröffnet.

 

Text: Rainer Ehrt