Bartel | Pradella

Grafik: Rainer Ehrt

Ute Bartel studierte Freie Kunst an der Kunstakademie Münster und lebt und arbeitet in Köln. Sie arbeitet mit Fotografie mit dem Blick einer Bildhauerin. Ihr Interesse gilt dabei häufig Dingen und Gegebenheiten des Alltags,welche sie in Collagen oder plastischen Objekten, kombiniert mit anderen Materialien, zu faszinierenden Einblicken in das vermeintlich Gewöhnliche verarbeitet. Vor den Augen der Betrachtenden entstehen so Transformationen vertrauter Dinge. Im Landarbeiterhaus wird sie ihre »Curious Circle Collection« präsentieren.

 

 

Bettina Pradella absolvierte die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, wo sie lebt und arbeitet. sie zeigt aufwändige und detailreiche Farbstiftzeichnungen, welche in wild bewegten Ausschnitten Elemente der bunten Konsumwelt spiegeln und Fragen nach dem Wesen von Freiheit behandeln: Wie selbstbestimmt sind wir wirklich, wie fremdbestimmt sind wir eigentlich?


Ausstellung  vom 4. Juni bis 9. Juli

 

Eröffnung am 4. Juni um 16 Uhr

 

Geöffnet Samstags und Sonntags von 14 bis 18 Uhr

und nach Vereinbarung (Telefonisch anmelden unter 0173 – 8112451)

 

Der Eintritt ist frei. Hinweise zum Besuch der Ausstellung im Landarbeiterhaus hier. Wenn Sie direkt informiert werden möchten, abonnieren Sie unseren Newsletter


 

Vernissage – Impressionen

Bilder: Wolfgang Meier-Kühn

Magie und Freiheit der Dinge

(Rede zur Eröffnung von Rainer Ehrt)

 

Liebe Kunstfreunde, in unserer neuen Ausstellung begegnen sich zwei Künstlerinnen, die sich zuvor noch nicht begegnet sind und ohne unseren Kunstverein vielleicht nie zusammengekommen wären: ich begrüße Ute Bartel aus. Köln und Bettina Pradella aus Stuttgart.

 

Ute Bartel studierte 1986 bis 1994 an der Kunstakademie Münster. Nach Anfängen in den Bereichen Skulptur und Performance liegt ihr Schwerpunkt inzwischen auf dem Medium Fotografie, welches sie aber umfassenden Transformationen aussetzt.

 

Man könnte von drei aufeinanderfolgenden Seh-Prozessen sprechen: Am Anfang ist selbstverständlich ihr künstlerischer Blick auf ein Objekt oder eine Sache, gefolgt vom Aufnahmeprozess der digitalen der analogen fotografischen Linse, danach noch einmal verändert unter dem wiederum natürlichen Auge. Verblüffend, wie Ute Bartel Materialien, Alltagsgegenständen, Oberflächen nachspürt und dabei ganz selbstverständlich analog-handwerkliche mit digitalen Arbeitsmitteln kombiniert: Faszinierend, wie diese Dinge unter ihren Augen und ihren Händen eine leise Magie und eine neue Räumlichkeit entfalten. Hier ist geradezu zwangsläufig ein Zitat von Paul Valéry angebracht:

 

„Nichts ist so tief wie die Oberfläche.“

 

Das ist ebenso paradox wie doppeldeutig wie unbedingt wahr: Die Oberfläche ist nicht alles, aber ohne die Oberfläche ist alles nichts; und wo nichts ist, ist auch nichts dahinter. Darum bekommen Ute Pradellas Ab-Bilder scheinbarer Alltäglichkeit etwas kostbares und lebendiges, machen sie den kühnen Versuch, das Vergängliche unvergänglich werden zu lassen. Der etwas abgenutzte Begriff der Achtsamkeit bekommt hier noch einmal eine neue Bedeutung: Die melancholischen Spuren des Brotmessers auf dem Frühstücksbrettchen, die Traurigkeit der einst heiß geliebten, dann verlorenen, verstümmelten und vergessenen Puppe, raue und glänzende, grelle und pastellfarbene Flächen, abgeplatzte Emaille, blätternde Farbe, Brotrinde, einsamer Damenschuh, zerknülltes Tuch oder die duftende Crema auf dem Morgenkaffee.

 

Kleinste Details, die mit größter Aufmerksamkeit und Präzision fotografisch herausgearbeitet und durch Bildbearbeitung, Silhouettierung und Montage noch einmal gesteigert werden. Hinzu kommt das feine Spiel der Schatten, der augenzwinkernden Augentäuschung oder Trompe-l‘œil, die heitere Paradoxie, die darin liegt, das dreidimensionale zuerst in zweidimensionale Fläche und dann wieder scheinbar räumlich zu inszenieren, alles handwerklich souverän gearbeitet.

 

„Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine“ heißt es bei Brecht, und auch dieser Gedanke der umfassenden Wandelbarkeit findet sich verborgen in den Arbeiten von Ute Bartel: Ihre „Curious circles“ , von denen wir einige im kleinen Foyer sehen können, sind gewissermaßen mehrfach codierte  Botschaften aus Realität und Abstraktion, Flächigkeit und Raum, Oberfläche und Tiefe. Wir feiern mit diesen Fotoobjekten die Größe und Schönheit in den kleinen Dingen, das zu Hause-Sein in einer unbehausten Welt.

 

Bettina Pradella begann als technische Zeichnerin und absolvierte dann die Akademie der bildenden Künste in Stuttgart, wo sie lebt und arbeitet. Ihre mit ungeheurer Präzision und Disziplin gearbeiteten Farbstiftzeichnungen zwingen mich geradezu, ein Lese-Fundstück aus der Ästhetik Georg Wilhelm Friedrich Hegels hervorzuholen, welche sich folgendermaßen anhört:

 

„Diese besondere Raumumgrenzung, durch welche jedes Objekt in seiner spezifischen Form sichtbar gemacht wird, ist die Sache der Zeichnung. Ihr vorzüglichstes Gesetz ist die Richtigkeit in Form und Entfernung, welche sich freilich zunächst noch nicht auf den geistigen Ausdruck, sondern nur auf die äußere Erscheinung bezieht und deshalb nur die selbst äußerliche Grundlage bildet, doch besonders bei organischen Formen und deren mannigfaltigen Bewegungen durch die dadurch eintretenden Verkürzungen von großer Schwierigkeit ist.“

 

Man muss sich angesichts der Arbeiten Bettina Pradellas dem unüberhörbaren Respekt des großen Philosophen vor der Zeichenkunst anschließen: Das Formale und das Handwerkliche sind auf vollendete Weise gelungen, aber natürlich muss eine Zeichnung als Kunst-Werk darüber hinaus gehen. Denn das scheinbare Chaos der Konsumfragmente, Werbeschnipsel, rudimentären Bauteile in diesen Blättern, welche sich um meist anonymisierte menschliche Gestalten gruppieren  ist gleichwohl wohl geordnet, klug komponiert, gleichzeitig mit kühler Präzision und liebevoller Detailarbeit gezeichnet. Hier stoßen auf frappierende Weise Konfusion und Konzentration, Lärm und Stille zusammen: Es ist die Bewältigung unserer schreienden chaotischen Techno- und Konsumwelt durch Konzentration, Genauigkeit, ruhige Betrachtung. Bettina Pradella sagt selbst über ihre Arbeit, dass sie Fragen nach dem Wesen der Freiheit behandelt: Wie selbstbestimmt sind wir wirklich, wie fremdbestimmt sind wir eigentlich?

 

Das heißt: Beherrschen wir die Dinge eigentlich noch, die wir unaufhörlich produzieren, oder beherrschen sie uns inzwischen, und beherrscht uns nicht vielmehr längst der Zwang, diese Dinge unaufhörlich zu produzieren? Denn allen wohlmeinenden Protestbewegungen, wohlfeilen Politikerreden und grüngewaschenen Kampagnen zum Trotz geht ja die wilde Jagd unaufhörlich weiter, werden neben Kohle, Öl, Erzen nun noch jene für die ach so sauberen Batteriespeicher massenhaft benötigten seltenen Erden aus dem Planeten gekratzt, und wer wollte sich zum Beispiel vorstellen, dass Milliarden Menschen demnächst ihre Fahrzeuge nur noch mit Elektroenergie bewegen sollen?  Zu schweigen von düstersten Kapitel aller  menschlicher Produktion, der Rüstungsindustrie? Mensch ist  n o c h  sichtbar in den Kompositionen Bettina Pradellas, aber permanent in der Gefahr, überwuchert, erstickt, zum Sklaven seiner Dinge, ja, zum beliebigen Ding selbst degradiert zu werden.

 

Aber da ist auch der unwiderstehliche grafische Reiz dieser Dinge und Strukturen, die Zeichenlust, die Kraft der Farben, die Eleganz  der Schraffuren, die Befreiung, die darin liegt, das Chaos künstlerisch bewältigt und damit überwunden zu haben, und es bleibt – und das gilt ausdrücklich für beide Handschriften unserer Künstlerinnen –  ein befreiendes Lächeln und ein großer Genuss.

 

Die Ausstellung ist eröffnet.

 

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