„Das weite Feld der sinnlichen Wahrnehmung“

Im  Gespräch mit dem Architekten, Grafiker, Theatermacher und Fotografen Georg Habermann.

 

F: Herr Habermann, wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

 

Georg Habermann: Mein Vater war ein begeisterter Amateurfotograf. Er hat die Familie abgelichtet, um die Jahrhundertwende damals in Stendal. Die Fotos hat er unter dem Dach entwickelt. Das sind ganz frühe Erinnerungen: der Geruch von Fichtenholz, von der sauren Suppe, in der die Fotos schwammen, der Geruch von Bromchlorid. Dann der enorm spannende Moment, wenn das Blatt in der Suppe nach oben schwimmt und die ersten Konturen sichtbar werden. Später schwammen die Blätter dann in der Badewanne wie Segelschiffchen. Aber das waren nur prägende Kindheitserlebnisse. Erst im Alter von 50 Jahren habe ich mich ernsthaft mit Fotografie beschäftigt.

 

F: Was hat Sie dazu motiviert, sich ernsthaft mit Fotografie zu beschäftigen?

 

GH: Die Vertiefung meiner architektonischen Vorstellungen. Fotografie war technisches Hilfsmittel um meine Kenntnisse optisch zu ordnen. Ein Objekt in meiner Lebensmitte markiert eine entscheidende Wende in meiner Architekturarbeit: Ein Tagesheim für geistig behinderte Menschen. Die Begegnung und die Zusammenarbeit mit Hugo Kükelhaus* führte mich zu neuen Ufern. In das weite Feld der sinnlichen Wahrnehmung. Mein Wille zur Gestaltung verlässt die Grenzen der Raumbildung, die Plastizität der Baukörper mündet in eine Korrektur meiner Architekturauffassung überhaupt.

 

F: Wie schaute das dann aus?

 

GH: Meine Liebe zum Handwerk, als Steinmetz geübt, forderte die Beherrschung der Laborarbeit. Alle Fertigungsprozesse habe ich in nächtelanger Arbeit durchlaufen, verfeinert in Kursen bei namhaften Pädagogen wie Günter Spitzing. Eines der Bilder sehen Sie in der Ausstellung nach einem Entwicklungsprozess von Ciba Geigy Basel. Da sehen Sie eine Wand, die rostig zu sein scheint, mit ganz vielen Farben. Da hat ein Maler verschiedene Farbdosen ausprobiert. Das ergab ein wunderbares Farbenspiel.

 

F: Architektur als Leitbild, haben Sie auch Ihre eigenen Bauten fotografiert.

 

GH: Ja, später. Zuerst jedoch die Modelle. Sie sollten ja die Vision des Erdachten vermitteln. Die Fotografen, die beauftragt wurden, haben oft nicht das gesehen, was mir vorschwebte. Da habe ich es lieber selbst gemacht.

 

F: In der Ausstellung sind jetzt aber fast nur Porträtaufnahmen zu sehen. Wie kamen Sie dazu?

 

GH: Es ist die zweite wesentliche Zäsur in meinem Leben. Die Lösung vom Leitbild Architektur. Mit meiner zweiten Frau, die aus Tschechien stammt und Schauspielerin ist, habe ich gemeinsam ein Theater aufgebaut. Da schwenkte es um auf die Menschen. Wir betrieben ein Schattenspieltheater, Handpantomime. Wir entwickelten eine neue Schattengestaltung, die international Bedeutung erlangte und uns durch die Welt führte.

 

F: In der Ausstellung zeigen Sie vor allem Porträts von ihren Reisen.

 

GH: Gelöst von der Architektur konnte sich die Fotografie freien Themen zuwenden, vor allem dem Menschen. Unser Theater war von Life-Musik begleitet, es ging auf Reisen. Als Fotograf und Grafiker begleitete ich diese Tourneen. Meine Liebe zum Jazz brachte mich in Kontakt zu vielen Jazzmusikern, die bereit waren mit uns zusammen zu arbeiten. Schlussendlich konnte ich als Fotograf und Grafiker auch deren Tourneen begleiten.

 

F: Allen Bildern ist der intensive direkte Blick der abgebildeten Personen gemeinsam.

 

GH: Ich suche die offene direkte Konfrontation nach Überspringen des Sonntagsgesichts und der Verkrampfung Als ich in Asien war, hat mich das fasziniert. Dieser direkte Blick. Da schaut dich jemand an, mehrere Minuten lang. Manchmal dachte ich, jetzt weiß der mehr über mich als ich über ihn. Es ist wie ein Eintauchen in ein Meer von Augen. Das erzeugt so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl.

 

Mein Weg in die Fotografie, durch einen anderen Beruf, führt mich altersgemäß heute zu einer Fragestellung über den Sinn des Aufenthalts auf dieser Welt. Ohne den Beruf ‚Fotograf’ erlernt zu haben kann ich in diesem Metier frei und offen meine Fragen stellen.

 

F: Was ist für Sie der Unterschied zwischen digitaler und analoger Fotografie?

 

GH: Die durch mein Alter gegebenen Einschränkungen. Am Anfang wollte ich das nicht machen, digitale Fotografie. Ich dachte, es schränkt mich zu sehr ein. Ich habe den Prozess nicht mehr in der Hand, wie lange das Bild entwickelt wird zum Beispiel. Aber mit digitaler Fotografie kann man auch sehr viel experimentieren, die Farben nachbearbeiten etwa. Das macht mir heute auch großen Spaß am Bildschirm. Ich frage mich dann: Wie weit darf ich gehen? Was ist noch ehrlich dem Foto gegenüber? So passiert es, dass ich mich eher zurücknehmen muss. In allen Tätigkeiten einer minimalen Gestaltung verpflichtet schließt sich hier wieder der Kreis. Zurück zu den Wurzeln.

 

F: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Die Fragen stellte Susanne Schmitt. Bilder: Corinne Holthuizen-Habermann – Die Ausstellung ist noch bis 30.April geöffnet – Samstags und Sonntags von 14 bis 18 Uhr.


* Designer und Philosoph aus Soest