LAISSER-ALLER | LOSLASSEN

„Wir atmen tief durch und entspannen, Ihr Körper ist weich, geschmeidig und ohne Widerstand. Lass dich gehen. Du bist eine weiche Masse, die sich langsam verflüssigt, seidig, sie ist dick und sirupartig, aber bald bist du nur noch Flüssigkeit. Du breitest dich widerstandslos aus, wo immer du willst.“

Materialüppigkeit und multimediale Vorgehensweisen kennzeichnen das Werk der französischen Künstlerin Cécile Wesolowski.

Mit „LAISSER-ALLER“ fordert sie uns zum Loslassen auf. Das fällt uns gegenwärtig in der angespannten politischen Lage eher schwer. Dennoch sollten wir es versuchen. Wunscherfüllende Figuren wie die japanischen Darumas verbunden mit dem Ergreifen des günstigen Augenblicks können uns dabei seelisch unterstützen. In ihrer hybriden Skulptur „Kairos“ (Raum 3) hat sie diese beiden Elemente zusammengebracht.

Typisch für Wesolowski ist das kombinieren von Motiven aus unterschiedlichen Kulturkreisen, die sie wie Versatzstücke in neue Beziehungen treten lässt. In den letzten Monaten sind sehr viele digitale Zeichnungen entstanden, die den Schwerpunkt der Präsentation im Landarbeiterhaus ausmachen. Wiederkehrende Motive sind Vulkane, auch verkörpert durch kleine Monster. Die feuerspeienden Berge auf Sizilien, Lanzarote und den berühmte Fujiyama hat Wesolowski bei ihren Reisen kennengelernt. In „Syracuse“ (Veranstaltungsraum) verbindet sie das Motiv der antiken Maske aus Sizilien mit dem Lavagestein von Lanzarote.

Mit Hilfe einer Software, die für die 3-D Produktion eingesetzt wird oder mit Procreate realisiert sie ihre digitalen Zeichnungen. Selbst Aquarellmalerei oder Graffiti können damit simuliert werden wie wir es auf dem Bild „Maurice et Katia Krafft #3“ (Veranstaltungsraum) entdecken. Der Titel verweist auf die beiden französischen Vulkanologen. Zwei größere Installationen wie „Phénomène de réverbération #1“ (Nachhallphänomen) in Raum 3 und „Le fouet de la vérité“ (die Peitsche der Wahrheit) in Raum 2 zeigen die Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem menschlichen Körper. Das sich scheinbar verflüssigende Gehirn während der Anästhesie ist das Thema der erstgenannten Inszenierung, während in „Le fouet“ eine weiche, schwarze Peitsche und Liebeskugeln auf sado-masochistische Spiele verweisen. Diese Arbeit gehört zu ihrem Projekt „l’amour liquide“ und führt uns zu Wesolowskis Schwerpunktthema der letzten Jahre: das Flüssige, Flüchtige einer sich auflösenden Welt verstärkt durch die zunehmende Digitalisierung.

Sie hat die Veröffentlichungen des polnisch-britischen Soziologen und Philosophen Zygmunt Bauman (1925 – 20 17) studiert. „Liquid Love“ von 2003 und „Liquid Life“ von 2005 wurden ihre Inspirationsquellen. In ihren Ausstellungen im Kunstraum Potsdam und in der Wiener Galerie Christine König hat sie die Zeit als Konstante hinterfragt. Erstaunt wird so mancher Besucher des Landarbeiterhauses sein, dass sich hinter Glitter, Glanz und Gold ernsthafte Themen verbergen.

Cécile Wesolowski hat an der Kunsthochschule Ecole regionale superieur d’expression plastique (ERSEP) in Lille Bildende Kunst, Medien und Film studiert. An der Università Venezia Architettura besuchte sie die Vorlesungen des italienischen Philosophen Giorgio Agamben. Lehraufträge, Stipendien und Projekte führten sie nach Schottland, Italien, den Niederlanden, den USA und Japan. Zeit für einen längeren Boxenstopp der Künstlerin in Kleinmachnow bis zum 10. April. Geschützt durch ihre goldfarbenen Thermo-Rettungsdecken erwarten wir die Zukunft und vertrauen auf Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“.

 Dr. Angelika Euchner im März 2022

Ausstellung  vom 6. März bis 10. April 2022